Wenn es Gene gibt, die für Lebensfreude und Feierlaune verantwortlich sind, dann haben die Georgier gleich mehrere davon mitbekommen. Ob sie vielleicht auch deshalb so ein fröhliches Völkchen sind, weil sie von viel Sonnenschein verwöhnt sind, oder ob die Jahrhunderte alten Traditionen des Beisammenseins an der Festtafel dafür verantwortlich sind. Wer weiß das schon?
Fest steht aber, dass sich jeder Besucher in Georgien durch die außerordentliche Gastfreundschaft der Einheimischen gleich gut aufgehoben fühlt. „Der Gast ist von Gott“ – sagt man in Georgien und daher bietet man ihm das allerbeste, was sich die Familie leisten kann. Ein Beweis dafür ist nicht nur ein reich gedeckter Tisch mit unzähligen Vor- und Hauptspeisen und Getränken, sondern vor allem die ganz besondere Atmosphäre, die der Gastgeber durch seine liebevolle und entspannte Einstellung zum Gast schafft.
Die Georgische Tafel wird „Supra“ genannt, was im engsten Sinne des Wortes „Tischtuch“ bedeutet. Im weiteren Sinne steht das Wort für ein Beisammensein, das vier Bestandteile voraussetzt: Wein, Brot (Essen), Trinkspruch und Gesang. Oft wird die georgische Tafel mit einer Lebensakademie verglichen, weil die Verhaltensregeln am Tisch schon von Kindheit an beigebracht werden und weit über das eigentliche Beisammensein hinausreichen; die Kinder schauen und hören der älteren Generation zu und lernen von den Trinksprüchen, was im Leben zählt, an welche Werten man sich orientieren und wen man respektieren sollte.
Die Verantwortung für die fröhliche Zusammenkunft übernimmt der Tischführer, der in Georgien „Tamada“ heißt. Da er sich um die ausgeglichene Atmosphäre an der Tafel und das Wohlsein aller Gäste kümmern muss, wird zum Tamada ein Mann ausgewählt, der sich in verschiedenen aktuellen Themen des gesellschaftlichen Lebens, sowie in der Geschichte und den Traditionen des Landes gut auskennt. Er muss die Kunst der Rede beherrschen, um seine schönen Trinksprüche humorvoll und witzig zum Besten geben zu können. Als die besten Tamada’s wurden immer die Künstler angesehen – Dichter, Schriftsteller, Schauspieler usw.
Der Ablauf an der Festtafel weist eine gewisse Dramaturgie mit Anfang, Höhepunkt und Ende auf. Diese kommt nicht nur durch die inhaltliche Reihenfolge der Trinksprüche zum Ausdruck, sondern wird durchaus auch durch die steigende Stimmung der Gäste beeinflusst. Das Programm für die Trinksprüche besteht aus einem obligatorischen und einem freiwilligen Teil. Diese Teile bestimmen die Themen für die Trinksprüche, wobei die Rede selbst jedoch immer spontan sein muss.
Die meisten georgischen Trinksprüche haben eine philosophische und erzieherische Ausprägung. Durch Bezugnahme auf die gemeinsame Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wird die Einheit der versammelten Gäste durch das kollektive Gedächtnis gestärkt. Daher ist es eine Kunst, einen guten Trinkspruch zu sagen, dessen Inhalt auf eine Weisheit hinausführt, originell und angemessen kurz ist, so dass der Tamada die Achtung aller Gäste verdient, die das mit dem schönen Wort „Gaumardschos“ (zum Wohl) bestätigen.